Für beeindruckende Landschaftsaufnahmen ist gutes Licht oft der alles entscheidende Faktor. Aber anders als im Studio kann man in der Natur das Licht nicht direkt beeinflussen – man muss sich den natürlichen Bedingungen anpassen. Die meisten Menschen machen ihre Ausflüge tagsüber und bei schönem Wetter. Wenn sie aus dem Auto steigen, steht die Sonne bereits hoch am langweilig blauen Himmel. Das Licht ist grellweiß, hart, fällt fast senkrecht ein und sorgt für sehr starke Kontraste zwischen hellen und dunklen Bildbereichen – meist genau die falschen Faktoren für stimmungsvolle und einzigartige Landschaftsaufnahmen.
Auf der Suche nach gutem Licht spielen viele Faktoren eine Rolle, vor allem aber Sonnenstand und Wolkenbildung. Je nach Jahres- und Tageszeit steht die Sonne unterschiedlich hoch. Je tiefer die Sonne steht, um so mehr Rotanteile hat das Licht. Das kommt daher, weil es einen längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen muss, die wie ein Filter wirkt: Kurzwelliges Licht (blau) wird dabei stärker gedämpft als langwelliges Licht (rot), so dass sich eine wärmere Farbtemperatur des Lichts ergibt, was wir auf Fotos meist als schön empfinden. Wenn die Luftfeuchtigkeit hoch ist, verstärkt sich die Rotfärbung. Zusätzlich können Wolken und Nebel das Licht dämpfen und sorgen dabei je nach Dichte und Winkel des einfallenden Lichts für einmalige dramatische Effekte. Gibt es allerdings zu viel davon, geht die Lichtfärbung ganz verloren – es wird einfach nur neblig, trüb und grau.
Für stimmungsvolles Licht ist also ein günstiges Zusammenspiel der genannten Faktoren nötig. Man braucht von allem etwas, aber nicht zu viel. Mit meteorologischen Grundkenntnissen und den entsprechenden Informationsquellen kann man eine gewisse Wahrscheinlichkeit für gutes Licht bereits im Vorfeld einer Fototour erkennen. In den letzten Jahren habe ich dabei ein Erfolgsrezept für gutes Licht entdeckt, das unter bestimmten Bestimmungen relativ zuverlässig funktioniert: Ich nenne es clearing storm (Ende eines Unwetters).
1944 nahm der Fotograf Ansel Adams das Bild Clearing Winter Storm (Das Ende eines Wintersturms) im Yosemite National Park in Kalifornien auf. Hier kann man das Bild auf der Website des Philadelphia Museum of Art sehen. Die Schwarzweißaufnahme zeigt ein winterliches Tal mit tief hängenden, dramatischen Wolken. Es ist eine Ikone der Landschaftsfotografie geworden, ein (immerhin wandgroßer) Abzug dieses Bildes wurde 2010 für 722.000 Dollar versteigert.
Ansel Adams wohnte nur wenige Meilen vom Aufnahmeort „Tunnel View“ entfernt. Er kannte die Stelle gut und hatte die Bildkomposition sicherlich schon länger im Kopf. Vermutlich hat er an dieser Stelle öfter fotografiert. Im Laufe der Zeit fand er heraus, welche Zutaten es brauchte, um ein wirklich einzigartiges Bild dieses Tales mit dem schönen Bridalveil Wasserfall aufzunehmen. Als die Bedingungen eines Tages perfekt erfüllt waren, machte er sich auf den Weg und das Bild war im Kasten. Sein Konzept ging auf: Tausende von Fotografen haben seitdem vor Kälte zitternd vergeblich versucht, das Foto von damals zu wiederholen. Manche kamen nah heran, haben das Original aber nie erreicht.
Das Bild und der Bildtitel „Clearing Winter Storm“ haben mich auf der Suche nach gutem Licht sehr inspiriert. Oft bin ich nachts unterwegs, um bei Sonnenaufgang am Ziel zu sein – daraus habe ich mein Konzept Jetlag-Photography entwickelt, das ebenfalls mit der Suche nach gutem Licht zusammenhängt. Da ich gerne in den Bergen fotografiere, brauche ich aus Sicherheitsgründen sicheres Wetter, denn bei Unwetter oder Nebel wäre eine nächtliche Bergtour unmöglich. Wolken und Nebel sind aber gleichzeitig wichtige Zutaten für einzigartige Lichtstimmungen – was also tun, um trotzdem beides miteinander kombinieren zu können?
Die Lösung besteht darin, das Ende eines Schlechtwettereinbruchs (Clearing Storm) zu nutzen. Am ersten Morgen nach einer Regenperiode befindet sich viel Feuchtigkeit am Boden und in der Luft. Nachdem das schlechte Wetter am Abend des Vortags abgezogen ist (das muss aus Sicherheitsgründen unbedingt gewährleistet sein!), kann ich sicher nachts die Location erreichen. Beim Sonnenaufgang befinden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Restwolken am Himmel, die vom glutroten Licht der aufgehenden Sonne zum Leuchten gebracht werden. In den Tälern bilden sich gleichzeitig Nebel (zumindest im Sommer und Herbst), was die Kulisse perfekt macht. Natürlich bleibt ein Restrisiko. Zieht das Unwetter langsamer ab als gedacht, kann ein dichtes Wolkenband am Horizont einen fotogenen Sonnenaufgang immer noch zunichte machen. Aber das habe ich nur ganz selten erlebt … ;)
Bedenken sollte man, dass sich vor allem in den Bergen die Temperatur während einer Schlechtwetterperiode stark abkühlen kann. Wenn man mit der „Clearing-Storm-Methode“ auf der Jagd ist, empfiehlt es sich, ausreichend warme Kleidung dabei zu haben.